Becker ermittelt:

Wieviel Realität steckt im Krimi?

Ein Gespräch mit Dr. Manfred Lukaschewski,  Diplomkriminalist und Physiker

Eine Umfrage unter Tatort-Fans ergab, dass Schimanski immer noch der beliebteste Kommissar ist. Auch meine Ruhrpott-Seele liebt ihn bis heute. Rau und herzlich, ein einsamer Wolf, der durch das Kohle-Revier zog und das Böse zur Strecke brachte.

Oder die Kommissare Jennerwein, Kluftinger, Eberhofer und wie sie alle heißen, sie rauben mir die Nachruhe, weil ich nicht aufhören kann weiter zu lesen. Nur noch eine Seite … Verdammt! Schon so spät!

Aber gibt es sie denn auch? Die Schimis und Franzels? Ich hab mal nachgefragt beim Fachmann fürs Kriminelle, Dr. Manfred Lukaschewski, seines Zeichens Diplomkriminalist und Physiker. Er hat lange genug eine Dienststelle geleitet und sollte Bescheid wissen.

Seine ernüchternde Antwort: „Nein, die gibt es so nicht. Es gibt keine Einzelkämpfer, die im Alleingang Fälle aufklären. Es ist immer das Team, das den Fall bearbeitet und schließlich aufklärt. Ein gutes Team ist die halbe Miete für den Erfolg. Die Einzelgänge wären übrigens auch nicht erlaubt.

Schimanskis Ausbrüche sind auch nicht an der Tagesordnung im Polizeidienst. Solche Impulsivität kann und sollte man sich abtrainieren.“

Abtrainieren? Schimanski im Deeskalations-Training? Was bleibt dann von ihm? Aber gut, bleiben ja noch die anderen, die mit einem festen Partner arbeiten.

„Die gibt es so leider auch nicht. Die Partner werden immer nach Bedarf und Lage zusammengestellt. Entscheidend ist, was wer kann und wo seine Stärken liegen.“

Jetzt nimm mir nicht alle Illusionen. So kann man als Autor doch nicht arbeiten. Gibt es denn eine Serie oder ein Buch in dem Polizeiarbeit realistisch dargestellt wird? Mal abgesehen von Fachbüchern?

„Ohne alle zu kennen, sag ich trotzdem mal: Nein. Das wäre viel zu langweilig, um da zuzuschauen. Nimm als Beispiel die Vernehmung. In den Büchern und Filmen werden nur ein paar Fragen gestellt und vorher gibt es noch eine Belehrung, die aus zwei Sätzen besteht. In Wahrheit dauert so eine Befragung stundenlang. Auch die Belehrung ist sehr viel ausführlicher. Manchmal geht eine Befragung über einen ganzen Tag, manchmal über zwei. Da wechseln die Kollegen auch schon mal und lassen sich den Tathergang oder Aussagen immer wieder bis ins kleinste Detail erzählen und versuchen Ungereimtheiten auf die Spur zu kommen. Das will doch keiner sehen.“

Okay, das muss man kürzen. Wie ist das dann, wenn du selber einen Krimi liest? Stören dich diese Fehler nicht?

„Nein, das Buch hat ja die Aufgabe zu unterhalten und den kleinen Voyeur, der in uns allen steckt, zufrieden zu stellen. Das muss nicht so viel mit der Realität zu tun haben. Nur wenn dann junge Leute in die Ausbildung kommen und erwarten, dass wir täglich rumballern, weil sie das im Fernsehn so gesehen haben, dann wird es schwierig.“

Was? Rumgeballer gibt es auch nicht? Nie?

„Selten. Ich hab in meiner gesamten Dienstzeit nur zweimal geschossen. Einmal in die Luft und einmal auf einen bewaffneten Täter. Aber man hat die Waffe schon immer dabei. Man weiß ja nicht, was kommt. Wir treten übrigens auch keine Türen ein, wir klingeln.“

Ok, ich seh schon. Die Realität taugt nichts für mein nächstes Projekt. Da sollte es doch bitte etwas ruppiger zur Sache gehen. Langsam hab ich das Gefühl, ich schreib keine Krimis, sondern Urban Fantasy. Aber was solls. Noch hat sich keiner beschwert.

Ihr klingelt also beim Mörder. Was sagt der denn, wenn du klingelst?

„Die Festnahme wird geplant und wenn man dann morgens vor der Tür steht, sind die meisten doch tatsächlich erleichtert. Der Täter ist in den meisten Fällen emotional stark belastet und kann mit niemandem sprechen. Manche werde sich erst nach der Tat dessen bewusst, was sie getan haben. Der geplante eiskalte Mord kommt nur selten vor.“

Und was plant man da bei einer Festnahme?

„Also erstmal, wo ist die Wohnung? Wie sieht das Umfeld aus? Dann in welchem Stockwerk befindet sie sich? Gibt es Fluchtmöglichkeiten durch Fenster, Hinterausgänge, Feuerleitern usw. Und damit überlegt man dann, mit wie vielen Leuten man dort aufläuft. Manchmal reichen zwei.“

Gab es denn auch schon mal ungewöhnliche Einsätze?

„Ja, einmal wurde ich mit meinem Chef zu einem Flugzeugabsturz gerufen. Um die Leichen zu identifizieren. Dafür waren wir ja die Spezialisten. Das war schon spannend Wir haben erstmal die Leichenfledderer weggescheucht und dann die Überreste Personen zugeordnet, damit die Hinterbliebenen sie auch bestatten können.“

Leichenfledderer? Und schon springt das Kopfkino an. Da lässt sich doch was draus machen. Na gut. Sind die ganzen Leichen, mit denen du zu tun hattest, nicht persönlich belastend?

„Wenn Kinder involviert sind natürlich. Ansonsten ist eine Leiche in erster Linie ein Spurengeber. Sie redet mit mir, beantwortet meine Fragen, nach Tatzeit, Todesursache und noch so einigem mehr. Außerdem ist sie mein Auftraggeber. Man unterhält sich. Manche Leichen quatschen wie Waschweiber.“

Den Satz merk ich mir. Das klingt doch jetzt schon wieder interessanter.

„Der Beruf an sich ist ja auch interessant. Nur eben nichts zum Zuschauen.“

Bücher und Filme haben die Tendenz immer brutaler zu werden. Ist das in der Realität auch so? Hat sich da was in den letzten Jahren geändert?

„Nein, eigentlich nicht. Die Tatwaffen ändern sich, die Hemmschwelle gewalttätig zu werden ist gesunken. Aber die Täter, die morden, sind nicht brutaler geworden. Wir haben immer noch mit stumpfer Gewalt, also erschlagen, scharfer Gewalt, also stechen und schneiden und Waffengewalt zu tun. Was sehr zurückgegangen ist, ist das Vergiften. Das kam früher häufiger vor.“

Und was ist mit den ganzen Psychophaten? Mit Serientätern?

„Ich hatte insgesamt mit zweien zu tun. Die sind dann schon schwieriger, weil sie zum einen nicht unbedingt aus dem Umfeld des Opfers stammen und zum anderen nicht kooperativ bei der Vernehmung sind. Gleichzeitig ist der Druck von außen auf das ermittelnde Team sehr groß, vonseiten der Staatsanwaltschaft aber auch von Medien und Bevölkerung. Was sie meist gemeinsam haben, ist, dass sie immer den gleichen Opfertyp suchen. Sie suchen keine Gegner, sondern Menschen, die ihnen unterlegen sind. Oft klein, schwach, weiblich. Es ist dann auch immer die gleiche Vorgehensweise, die beobachtet werden kann. Und sie werden von Tat zu Tat unvorsichtiger. Bei meinen beiden Serientätern haben wir sie nach der jeweils dritten Tat geschnappt.“

Hattest du Angst? Dass sich mal einer rächt?

„Den Satz „Wenn ich raus komm bist du der Nächste … „ hab ich öfter gehört, aber die vielen Jahre im Gefängnis beruhigen die Gemüter dann allerdings wieder …

Angst hat man eher davor, etwas übersehen zu haben. Und da hilft wieder das Team. Ein Fernfahrer lebt sicher gefährlicher als ein Ermittler.“

Kommen wir zu den Protagonisten meiner Krimis, den Detektiven. Wie ist das Verhältnis von Polizei und Privatdetektiven?

„Unterschiedlich. Aber was ich von Kollegen weiß, ist: Bleib mir weg mit denen.“

Ah, dann hab ich ja wenigstens das richtig dargestellt. Und warum ist das so?

„Viele Detektive nehmen sich wohl Sachen raus, die sie definitiv nicht dürfen, sie teilen ihre Erkenntnisse nicht und observieren Zeugen und Verdächtige. Das kann schon zu falschen Anschuldigen führen, zu verunreinigten Spuren und weiteren Störungen.“

Kann man dann verstehen. Was sind deine Buch-, Film- und Serientipps?

„Ich finde „Colombo“ ist sehr zu empfehlen, auch die „Olsenbande“ ist in Ordnung.“

Warum? Was gefällt dir daran besonders?

„Das ist so unwahrscheinlich, dass es schon wieder schön ist.“

Auch ein Kriterium. Du schreibst aber auch selbst Bücher. Was und für wen schreibst du?

„Ich schreibe keine Kriminalromane, das könnte ich gar nicht und überlasse das denen, die das auch können.

Ich bin im Fach-/Sachbuch zu Hause und versuche hier, mein angelerntes Wissen weiter zu geben. Mehrere Jahrzehnte praktischer Erfahrung fließen dort mit ein. „Hauptabnehmer“ meines Wissens sind sicher angehende Polizisten, aber überwiegend Autoren/Innen, die zunehmend darauf achten, Sachverhalte realistisch darzustellen.

Wer Interesse hat, findet die Reihe „Kriminalistik in Theorie und Praxis“ im besten direkt beim Verlag:

https://main-verlag.de/autoren/manfred-lukaschewski/,

und natürlich verfügbar über jede gute Buchhandlung oder die üblichen online-Portale.“

Vielen Dank für die vielen Infos.

Das Interview führte Andrea Becker, Krimiautorin. http://www.lieblingskrimis.de

Mein Fazit?

Ich werde nach dem Gespräch leider kritischer lesen und schauen. Macht man glaub ich automatisch. Und als kommunikativer Mensch werde ich das auch meiner Umgebung mitteilen. Aber ich hoffe, das verliert sich wieder, sonst mag niemand mehr mit mir einen Film ansehen.
Mathilda und Sam werden sich weiter bei der Polizei unbeliebt machen und mit der Realität werde ich es nicht so genau nehmen.

Aber wie seht ihr das als Leser? Schreibt in die Kommentare, ob euch die Realität wichtig ist, oder nur der Unterhaltungsfaktor stimmen muss ….

Ein Gedanke zu „Becker ermittelt: Wieviel Realität steckt im Krimi?“

  1. Ein sehr interessantes Interview. Mir ist der Unterhaltungswert beim Krimi am wichtigsten. Dennoch finde ich es gut, wenn sich Krimi-Autoren umfassend über die Polizei-Arbeit, Detektiv-Arbeit, Pathologie etc. informieren. Übrigens, ganz besonders spannend finde ich die Autopsie. Vielleicht wäre ja eine skurrile oder überraschende Obduktion einer Leiche mal ein schönes Thema für den nächsten „Lieblingskrimi“? Das würde vielleicht auch ein spannendes Interview mit einem Pathologen/Rechtsmediziner erfordern?!?! Ich freue mich jedenfalls schon auf den nächsten Lieblingskrimi.

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